Wir starten neu in den Ausstellungsbetrieb! Am 26. September um 17.30h feiern wir die Vernissage der Ausstellung „Stadtgeschichten“ mit Thomas Ruckstuhl aus Mannheim. Ein umfangreiches Hygienekonzept gehört dazu, doch das soll uns nicht davon abhalten, den Kunstentzugserscheinungen entgegen zu treten.
Thomas Ruckstuhl ist 1969 in Mannheim geboren und arbeitet seit 2012 als freischaffender Künstler in der Rhein-Neckar-Region. Sein Weg in Kunst verlief nicht gradlinig, denn seine berufliche Laufbahn begann als promovierter Physiker. Er forschte zunächst im Bereich optischer Spektroskopie an der Universität Züürich und der Dublin City University, bevor er die andere Seite und Erfahrung des Lichts  in der Ölmalerei entdeckte. Auch dieses Feld studierte er, bis er Meisterschaft darin erlangte und die Naturwissenschaften verließ.

Eröffnungsrede zur Ausstellung

Vielleicht kennen Sie diesen Monolog oder Teile daraus:
„Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch
Theologie! Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh‘ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug, als wie zuvor; Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr‘
Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum
– Und sehe, daß wir nichts wissen können!“
Dr. Faust ist zu Beginn von Goethes Faust in einer Sinn- und Schaffenskrise.
Eine Krise in ursprünglicher Bedeutung ist auch eine Bezeichnung für einen Höhepunkt oder auch Wendepunkt in einer Entwicklung.
So auch bei Tomas Ruckstuhl. Er studierte Physik, promovierte sogar, brachte sich ganz und gar ein und spürte dann, dass sein Weg dort zu nichts führte, was ihn glücklich, zufrieden oder gar reich machte.
Nachdem er diese Erkenntnis verdaut hatte, ließ er die universitäre Wissenschaft hinter sich und schmiedete im Ausschlussverfahren neue
Pläne.
„Ich fragte mich, was ich bislang in meinem Leben noch nicht gemacht habe, und kam auf das Malen. Ich beschloss, professioneller Maler zu werden, bevor ich überhaupt Farben hatte“, so der Künstler.
Dass er dafür Talent mitbrachte, wusste er aus der Schulzeit, doch ob das auch für eine tragende Profession werden konnte, musste sich erst
noch herausstellen.
Als Mann der Wissenschaft war ihm eigenständiges Lernen nicht fremd und er schrieb sich für die Virtual Art Academy ein. Er ging es
an wie die Physik. Hinsehen, beobachten, ausprobieren, Erfahrungen sammeln, Ergebnis optimieren.
In seinem Physikerleben hat Thomas Ruckstuhl vereinfacht gesagt, das Licht in seine (farblichen) Bestandteile zerlegt. In seinem Malerdasein fügt er es nun wieder zusammen.
Aus Pigmenten werden Farbflächen, werden Bilder.

Er ist weiterhin ein Forscher, jemand, der Antworten auf Fragen sucht, beobachtet, deutet, probiert, Erkenntnisse sammelt und für weitere
Fragen verarbeitet.
So hat er sich zur Aufgabe gemacht, zu jedem Genre seiner Bilder auch jeweils etwas Neues dabei zu lernen. Nicht nur sein Können soll
Futter haben, sondern auch seine Neugier.
Neugier wiederum ist der Motor von Kreativität, Kreativität ist ein Grundelexier des Lebens und der Lebendigkeit in uns.
Einige Bilder sind in der Rakeltechnik erschaffen, eine Mischung aus Bildhaftigkeit, Zufall und Intuition.
Und wenn es nicht die Technik ist, die er neu erlernen kann, dann ist es der Blick auf so etwas wie zum Beispiel ein Stillleben.
Bei einem Stillleben habe ich mir bislang vorgestellt, dass ein Maler sich eine Komposition überlegt und arrangiert und die dann so malt
wie hingestellt. Etwas wird aus dem Leben entnommen und still hingestellt. So bleibt es dann statisch, bis das Bild fertig ist oder die Dinge wieder aus ihrem Bildausschnitt entnommen sind.
Bei Thomas Ruckstuhl ist auch das anders. Er findet Stillleben ums sich herum und läuft dann solange um die stille Fundsache herum, bis
der Blick das Leben darin offenbart.
„Reflected Idea“ ist so eine Fundsache. Ein leerer Sektkübel steht zwischen anderen Dingen auf einem Tisch, man sieht noch den Anriss
eines Schneidebretts, eine Schüssel und links vom Sektkübel undefinierbare klotzartige Gebilde. Der Sektkübel hat Reflexionen auf seiner Oberfläche, die neugierig machen. Mit Ach und Krach erkennt
man die Klötze wieder, aber die Frontspiegelung mit der roten Farbe und dann auch noch ein orangefarbiges Ding, das aussieht wie eine
Kerze, sich aber auf eine Art spiegelt, in der unklar ist, woher sie kommt. Ein Rätsel also. Ebenso rätselhaft ist die direkte Frontspiegelung, die fast kräftig mittig platziert ist. Was kann das
sein? Müsste da nicht der Betrachter stehen? Wieso sieht man den nicht? Nicht mal ansatzweise? Auch nicht, wenn man die Augen
ordentlich zusammenkneift? Die rote Farbe wird nun zu einem ungelösten Rätsel, das einen immer wieder zu sich zieht, aber nicht erlöst.
Im Dialog mit dem Kübel befindet sich eine Glühbirne, wie sie früher einmal gebaut wurde. Man ahnt noch die Aufhängung des Glühfadens.
Sie kullerte irgendwann vertrauensvoll gegen den Sektkübel und ist dort liegen geblieben. Symbolisch steht sie für eine Idee, hier ist ein
Licht aufgegangen, die titelgebenden Szene passiert.
Warum sie das tat und woher sie kam, ist eine der Geschichten, die in der Luft liegen, die den Raum um das Bild herum mit ungesagten Worten verdichten, aber dennoch nichts preisgeben.

„Am hellichten Tag“ ist auch ein Beispiel für eine gemalte, aber nicht erzählte Geschichte. Sofort setzt sich eine Kette von Assoziationen in
den Trab, alle haben mit Heinz Rühmann und dem Film nach einer Idee von Friedrich Dürrenmatt zu tun.
Dabei ist hier nur ein Haus zu sehen, das uns allerdings aus dunklen und leeren Fensterhöhlen heraus anstarrt. Es ist kein Mensch zu sehen,
aber es steht allerlei herum. Das Haus wirkt verlassen. Sogar etwas vernachlässigt. Irgendwie düster und gleichzeitig auch wie irgendein
Haus, wie sie überall herumstehen.
Das ist ebenfalls ein gutes Beispiel dafür, dass man bei Thomas Ruckstuhl immer auch die Titel des Bildes mit einbeziehen sollte in die Betrachtung der Bilder. Natürlich gibt es die, die einfach nur sagen, was oder wo gemalt wurde, aber es gibt viel häufiger die, die sich auf etwas beziehen, die die Geschichte im Raum mit einem Satz hinzubitten, die eine Art rätselhafter, aber immer auch ergänzender Untertitel zu dem Bild abgeben. Bilderkino, sprechende Titel, Stadtgeschichten, spannende, mehrdimensionale narrative Malerei.
Ein bisschen wie eine Telefonzelle, in die man eintreten kann, indem man vor das Bild tritt.
Das kann nur gelingen, wenn sich ein Künstler mit Neugier seinem Motiv nährt, wenn er mit Herzblut neue Wege geht und dabei den Weg erschafft, den er damit geht. Und das, nachdem einer seiner
Lebenswege ihn nicht mehr weiter führte.
Wir können von Künstlern wie Thomas Ruckstuhl lernen. Nicht unbedingt das Malen, denn das ist nicht jedem gegeben, aber den Umgang mit Krisen, die ich fortan lieber Wendepunkte nennen
möchte.
„So etwas Verrücktes macht man nur einmal im Leben“, sagte Thomas Ruckstuhl zu seinem Werdegang bislang.
Ich dagegen kann mir vorstellen, dass es nicht um die Tat als solche geht, sondern eher um die Bereitschaft, auch einmal was total Verrücktes zu tun, um den unermesslich reichen Schatz in uns heben zu können.
Das ist gerade in dieser Zeit auch eine wichtige Botschaft, aus der man Kraft schöpfen kann.
Ein Pakt mit dem Teufel, wie Dr. Faust es tat, ist nicht nötig.