Nikolaus Störtenbecker zeigt in seiner Ausstellung „Zwischen gestern und heute“  noch bis Mitte Juni 2022 einen Querschnitt durch sein Schaffen von 1988 bis heute. Detailreiche Ölgemälde und hingehauchte Skizzen zeichnen seinen Weg nach bis zum heutigen Tage.

Die Ausstellung ist bis Mitte Juni während der Geschäftszeiten und nach Vereinbarung zu besuchen.

Die einführende Rede zur Ausstellung:

Nikolaus Störtenbecker- zwischen Gestern und Heute

Nikolaus Störtenbecker wurde am 18. Februar 1940 in Hamburg geboren und gilt als prominenter Vertreter des neuen Realismus in Deutschland. Er war direkt nach seinem Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg einer der Mitbegründer der Gruppe Zebra (1964/65). Sie schien eine Antwort gewesen zu sein auf den abstrakten Expressionismus und anderer abstrakter Kunstformen.
Versuchte man im abstrakten Expressionismus vor allem dem Gefühl, der Emotion und der Spontanität in irgendeiner Form Ausdruck zu verleihen, war es dem Realismus ein Anliegen, sich einem Abbild der Wirklichkeit zu nähern.
Doch was ist Wirklichkeit? Immer doch auch nur ein Ausschnitt einer individuellen Perspektive, die sich aus Erlebten und Erlernten formt.
Es ist jedes Mal eine persönliche Geschichte, aus des Malers Hand, die hier erzählt wird. Geschichten, die die Motivwahl der norddeutschen Realisten insgesamt ausmachen.
Es gibt Kunstexperten, die sagen, dass „es“ keine Kunst sei, wenn man erkennen kann, was auf dem Kunstwerk drauf oder gemeint ist. Die Mittel und Methoden von Kunst sollen vielmehr auf Fragen der Zeit in ihrer eigenen, individuellen Sprache antworten, ohne dabei verständlich zu sein. Das Thema wird auf eine andere Ebene gehoben, die sie nicht mit den Betrachtenden teilt. Durch diese Distanz soll Entfremdung den Blick schärfen und Antworten aufzeigen, zu denen manchmal die Frage unbekannt ist. Auch das ist eine Perspektive, denn sie meinen vielleicht, dass der eigene Impuls als Reaktion auf das Kunstwerk, die eigentliche Kunst ist.
Aber das ist Küchen-Kunstgeschichte und sicher nicht tauglich für den akademischen Diskurs.
Wesentliches ist darin dennoch genannt. Ein Kunstwerk macht etwas mit denen, die es betrachten.
Und ich würde es in Herz- und Kopf-Wahrnehmung aufteilen. Der Kopf mag erklären und erläutern, sich mit Worten erschließen, was die Sinne erfahren. Darüber kann man Beziehung und Kommunikation aufbauen. Es reicht ein einfaches „das ist aber schön“, es braucht kein „Es ist schön, weil…“.

Die aktuelle Hirnforschung hat inzwischen festgestellt, dass positive Gefühle entstehen, wenn man nur positiv verknüpfte Bilder imaginiert.
Bilder und ihre Betrachtung wirken sich positiv auf Zellen aus, können sogar die unveränderlichen Bestandteile der DNA aktivieren und neue Verknüpfungen in den Synapsen herstellen. Das ist ein Ergebnis aus der aktuellen Traumforschung.
In begleitenden Forschungen der Krankenhäuser hat man festgestellt, dass bestimmte Kunst sogar den Heilungsprozess unterstützt. Das gilt für die Werke, auf denen man erkennen kann, was drauf ist: Ein Wald, das Meer, ein gemaltes Stück Natur. Man hat das auch mit abstrakten Bildern versucht und es hat nicht funktioniert.
Realistische Bilder sind also auch Medizin.

An dieser Stelle funktioniert der Mensch urtümlich und kann kaum unterscheiden zwischen Bild und Wirklichkeit. Das heißt, der Kopf kennt den Unterschied, aber dem Herzen ist das egal. Die Lebenskraft, die einer Blume entströmt, findet durch das Bild der Blume zu dem oder der Betrachter*in.
Neben diesem heilenden Aspekt realistischer Malerei gibt es noch den dokumentarischen.
Störtenbecker malt Landschaften und Alltägliches. Er hinterlässt mit jedem Bild Spuren in der Zeit und setzt Denkmäler seines Lebens in der Zeit. Hier war ich und habe Folgendes gesehen.

Jede Kleinigkeit ist wichtig, denn sie ist einmalig und besonders im Zeitfluss. Es gibt keinen belanglosen Moment, denn so wie jetzt, wird es niemals wieder.

Natalie Goldberg, Schriftstellerin und Malerin, beschreibt das sehr treffend:
„Unser Leben ist beides: gewöhnlich und geheimnisvoll. Wir leben und sterben, altern in Schönheit oder mit vielen Falten. Wir wachen morgens auf, kaufen Brötchen und hoffen, dass wir genügend Geld haben, um sie zu bezahlen. Und gleichzeitig besitzen wir dieses fantastische Organ genannt Herz, das uns pulsierend durch alle Kümmernisse und finsteren Jahreszeiten bringt, die wir auf der Erde erleben, sind wichtig und unser Leben ist wichtig – sogar großartig-seine Einzelheiten sind es wert, aufgeschrieben (oder gemalt Anm. MB) zu werden.

[…] Wir müssen lernen, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind, müssen Einzelheiten wichtig nehmen. Wir müssen mit einem Ja auf unseren Lippen hervortreten, damit es kein Nein mehr auf dieser Welt geben kann – kein Nein mehr, das Leben auslöscht und die wichtigen Einzelheiten für wertlos hält.“ (Schreiben in Cafés – Writing Down the Bones: Der Creative Writing-Bestseller, 2014, S. 61,62)

Nikolaus Störtenbecker ist Maler, aber auch Gärtner, er verbindet sich mit der Natur, tankt Kraft aus ihr. Und schenkt sie uns weiter in seinen Bildern, in denen wir Zeuginnen werden von seinen Denkmälern in der Zeit.

Wenn wir hier durch diese Ausstellung gehen, dann können wir dem Künstler Störtenbecker folgen durch einen Zeitausschnitt seines Schaffens.
Mit seinen 82 Jahren schleppt er zwar nicht mehr den ganze Malkarren den ganzen Tag durch die Gegend. Aber Kreativität ist ein steter Fluß, der weiterhin Ausdruck braucht.
Nikolaus Störtenbecker hat die Technik und Methode seinen körperlichen Fähigkeiten angepasst und macht weiter. Die Inspiration hat er in einer anderen Kunstform gefunden, in dem Malen mit Worten und Buchstaben, dem geschriebenen Buch,
Seine neuesten Grafiken sind inspiriert vom „Der Gesang der Flußkrebse“, einem wunderbaren Roman, der auch ein Krimi, eine Romanze und ein Justizroman ist. Es ist die Geschichte eines sehr besonderen Mädchens, Kya, das von der Familie verlassen abgeschieden und allein in der Wildnis überlebt. Von der „normalen“ Gesellschaft ausgeschlossen, findet sie in der Wildnis Kraft und Stärke, wächst zur Naturforscherin heran und erlebt spannende Dinge, die Sie bitte selber lesen sollten. Es lohnt sich!

Das ergibt auch die ungewöhnlichste Grafik und größte Überraschung im neuen Werk von Nikolaus Störtenbecker: „Kyas alte Matraze“. Auf den ersten Blick ist es ein irgendwie dreckiges Stück Papier, ein Abbild von irgendwas, was nicht einmal gleich lange Seiten hat. Aber ist Kyas Bett, ein Ort, an dem sie sich sicher fühlt und sich ganz geborgen fühlt. Kya schläft die meiste Zeit vor ihrer Hütte, auf der offenen Terrasse und unter freiem Himmel. Sie hat keine Angst vor der Nacht, sondern will ihr und der Natur so nah wie möglich sein. Die Matratze inmitten der Natur ist Kya Heimat, die Verbundenheit ist Geborgenheit und Kraftzentrale. Und diese Verbundenheit zur Natur eint Romanfigur und Maler, denn sie verbinden sich in ihrer Essenz, dem Ort in uns oder jenseits von uns, an dem wir heil, gesund und unsterblich sind. Jedes dieser Bilder ist ein Fenster dorthin.

(Maike Brzakala, 26.3.2022)